12.02.2024, Sylkes Tagebuch, Kaikōura - Blenheim - Nelson

Ich weiß, das habe ich schon mal geschrieben. Aber WAS für ein Tag! Immer noch enttäuscht von der Absage der Whale Watching-Tour packen wir unsere Klamotten und verlassen gegen 9:45 Uhr das Motel. Es ist leicht bedeckt, etwas diesig, ein wenig sonnig. Und wie zum Hohn auf den gestrigen Tag fast windstill. Wir wollen nach Norden, nach Nelson. Das liegt ungefähr in der Mitte der Nordküste. Da das Ticketbüro der Whale Watching-Unternehmens quasi auf dem Weg liegt, bitte ich Roland um einen letzten Versuch. Gestern hatte ich uns ja auf die Nachrückerliste für die frühen Touren eintragen lassen, aber das schien ziemlich aussichtslos bei acht anderen Leuten vor uns. Eine kurze Info per Telefon oder Mail würde es nicht geben und so haben wir nicht versucht, gegen 6:30 und/oder 7:30 Uhr da aufzuschlagen. Roland hat zu Recht Bedenken, weil der Weg nach Nelson recht weit ist und die Chancen für Nachrückertickets gering sind. Aber ich überrede ihn mit dem Argument, dass das vielleicht eine einmalige Gelegenheit sein könnte. Die Befürchtung, dass das ohnehin nicht klappt, werden noch größer als wir sehen, dass direkt vor der Ticketstation der Zug aus Christchurch anhält. Aber was soll ich sagen? Es klappt!!! Wir bezahlen erneut die bereits am Vortag erstatteten Tickets und werden mit einer großen Gruppe anderer Touristen zum Boot gebracht. 


Juhu! Wir haben doch noch zwei Tickets bekommen!

Das ist für mich heute - ohne den gestrigen Tag mitzuzählen - der vierte Versuch, einen echten Wal zu sehen. Als Kind und junge Erwachsene habe ich bereits Tümmler im Lustra- und Sognefjord in Norwegen gesehen, später dann auch noch noch die possierlichen kleinen Schweinswale, die eine Fähre begleiteten. Ich will mich also nicht beschweren. Eine Whale Watching-Tour auf Madeira war sehr schön und hat uns mit „normalen“ Delfinen vertraut gemacht, eine weitere an der Südküste Irlands mit Merthe war ein tolles Erlebnis mit Kegelrobben und deren gerade geborenen Babys, weiteren Delfinen und Basstölpeln. Der letzte Versuch vor eineinhalb Jahren mit meiner Mutter auf Madeira fiel wegen des zu starken Winds  wie unser gestriger Termin ins Wasser. 

Jetzt aber. Alles läuft sehr professionell ab. Im Gegensatzes zu den vorherigen Bootstouren werden die zahlreichen Besucher auf zwei größere Boote verteilt. Bereits im Ticketcenter wurden wir auf die Gefahr der Seekrankheit hingewiesen, obwohl das Meer gerade richtig ruhig erscheint. Es gibt eine Sicherheitseinweisung, große Bildschirme mit Erklärungen und aktuelle Kommentare. Roland geht davon aus, dass wir bestimmt wieder „nur Delfine“ sehen werden. Wir müssen zunächst drinnen bleiben, alles im Vergleich ziemlich ungewohnt. Aber kaum haben wir abgelegt und sind rausgegangen, tummeln sich auf der linken Seite Orcas direkt neben dem Schwesternboot, einem weiteren Motorboot und zwei Kanuten, die zum Glück ausreichend Abstand halten. Es handelt sich um eine Gruppe aus unterschiedlich großen Tieren. Ein sehr großer Schwertwal ist ebenso dabei wie nach Einschätzung der Größe ein Muttertier mit seinem Jungen. Es müssten so um die sechs Orcas sein, das ist schwer zu schätzen. Sie zeigen keinerlei Angst und es wirkt eher so, als würden sie die Nähe zu den Booten suchen. Sie begleiten uns und die anderen Boote noch eine Weile, bis das Leittier mit der Fluke auf die Wasseroberfläche schlägt und sich die ganze Gruppe weiter entfernt. Was für ein Anblick. Nun müssen wir alle wieder rein, denn der Kapitän gibt Gas und die Warnung vor Seekrankheit war doch nicht ganz unberechtigt, wenn man sich die Geräusche eines VIP-Passagiers anhört. Selbst Schuld, wenn man soweit vorne die Extrawurst haben will. 

Orcas in der Bucht von Kaikōura

Was jetzt kommt, habe ich so noch nicht erlebt. Auf Madeira werden die Boote über einen Spyer benachrichtigt, der mit einem Fernglas vom steilen Ufer aus versucht, Wale oder Delfine auszumachen. In Irland vertraute der ehemalige Fischer Colin auf seine Erfahrung. In Kaikōura benutzt man ein überdimensionales Hörrohr, da Pottwale unheimlich Krach machen können. Wir halten am Rand des Unterseecanyons, der bevorzugter Aufenthaltsort für meist männliche Pottwale ist. In großen Tiefen befindet sich die Lieblingsnahrung der auf Englisch als Sperm Whales bezeichneten Riesen, der hier von der Crew erwartet wird. Jetzt heißt es warten. Wir sehen Albatrosse und wahnsinnig geschickte Sturmtaucher, die knapp über der Wasseroberfläche langflitzen, aber keinen Wal. Die Spannung ist groß, kaum einer sagt etwas, und wenn doch, wird nur geflüstert oder sehr leise gesprochen. Der Mann neben mir lässt sich mit gedämpfter Stimme jeden Vogel erklären, alle suchen gespannt die Wasseroberfläche mit und ohne Fernglas, Sonnenbrille, Kamera oder Handy ab. Nichts zu machen. Gestern waren da wegen des Windes zumindest noch optische Täuschungen, jetzt ist der Ozean wirklich ziemlich still. Das ganze Manöver, also Vorfahren, Hörrohr auspacken, horchen und warten, wiederholt sich mehrfach. Mittlerweile sind wir schon ein ganzes Stück über den Canyonrand drüber. Ich muss mal, Roland auch, aber wir trauen uns nicht aufs Klo aus Angst, etwas zu verpassen. 

Hochmoderne Ausstattung, gute Erklärungen

Erst horchen, dann taucht er wirklich auf

Plötzlich sehe ich in Fahrtrichtung Wasserperlen in der Luft, einen Blas. Das hat auch der Kapitän gesehen und fährt mit mäßiger Geschwindigkeit drauf zu. Und da ist er! Ein echter riesiger Pottwal! Ein großartiger Anblick. Was für ein Erlebnis, ein solch majestätisches Wesen aus der Nähe live zu sehen. Die Wasserfontänen steigen immer wieder sehr weit vorne am Kopf auf, die Finne, also die Rückenflosse, ist nur wenig ausgebildet. Aber er ist trotzdem an der Gesamtform eindeutig zu erkennen und schwimmt ruhig zwischen uns und dem Partnerboot entlang. Ab und zu kommt ein nasser Schnaufer, denn die Tiere tauchen bis zu 2.500 m tief, da wird irgendwann auch bei Walen die Luft etwas knapp. Nachdem er nun wohl genug Sauerstoff getankt hat, gibt es einen letzten Atemzug und der graue Riese taucht mit hoch erhobener Fluke wieder in die Tiefe. Wir sind tief beeindruckt. 


Welch ein majestätischer Anblick

Eine kleine Bemerkung muss ich aber noch loswerden. Da ein Whale Watching auch für viel Geld aus der Luft möglich ist, nervte von oben zeitweise leider auch ein Hubschrauber. Ich kann mir kaum vorstellen, dass das den (über Akustik kommunizierenden) Walen nichts ausmacht. Die Boote dagegen halten sich hier an alle offiziell vorgegebenen oder selbst auferlegten Regeln (ausreichend Abstand, Motoren aus). Diesen Respekt sollte man der Natur entgegenbringen. 


Wieder unterwegs nach Norden

Es ist durch die Planänderung etwas spät geworden und wir müssen uns sputen, unser Ziel in Nelson noch pünktlich vor 18 Uhr zu erreichen. Wir machen uns auf den Weg an der Ostküste nach Norden. Die Straße gilt als eine der schönsten Neuseelands und führt parallel zur Bahnstrecke am Ozean lang. Das Meer hat hier ein klares Türkis in drei Schattierungen. Nahe des dunkelgrauen Strands ist es fast milchig hell, weiter weg leuchtender grünblau bis petrolfarben. Etwas nördlich von Kaikōura ist die Vegetation noch leicht grün angehaucht, aber dann fahren wir durch Marlborough mit wieder komplett „blonden“ Steppenbergen. Ein seltsamer Kontrast zur klaren Farbe des Meeres, allerdings manchmal unterbrochen durch saftig grüne Weinfelder oder kleine Flächen, auf denen die Wassersprenger ihre Runden drehen. So kahl und unwirtlich war bis jetzt keine Landschaft. Selbst die höheren Berge im Hintergrund sind kaum grün. Die Feuerwarn-Tachos stehen auf dunkelrot, es besteht also hohe Waldbrandgefahr. 

Trockenland, nur durchbrochen von Weinfeldern (unten)

 ... und wieder diese langen weißen Wolken

Wir kommen am Lake Grassmere/Kapara Te Hau vorbei, aus dessen sehr salzhaltigen Wasser in flachen Becken Salz gewonnen wird. Dabei verfärbt sich das Wasser pink (leider kein Foto), sieht sehr merkwürdig aus. Hier ist eben sogar die Wasserfarbe anders. Hinter Blenheim wird die beige Mondlandschaft dann doch wieder dunkelgrün. Die Berge sind voller Wald, dichte Nadelforste wechseln sich mit natürlichem Wald ab. Die Straße ist sehr kurvig und ziemlich anspruchsvoll. Wir passieren die Welthauptstadt der Grünschalmuschel, einer Verwandten der Miesmuschel. Außer diesem Attribut ist hier allerdings anscheinend auch nicht mehr los. Dann könnte sich Rastede ab sofort dank unserer Sammlung die Welthauptstadt der Nudelhölzer nennen. Würde passen. 

Etwas durch den Wind nach diesem aufregenden und hinreißenden Tag kommen wir in einer bescheidenen Backpacker-Unterkunft in Nelson dann doch noch pünktlich an und machen uns etwas zu essen. Und zu trinken, das war heute zu kurz gekommen.

Der Tag war wirklich wundervoll. Die Sonar-Ortung in Rolands Bericht ist allerdings der Müdigkeit und dem Rotwein geschuldet, das setzen die bewusst nicht ein. Und Delfine, die haben wir diesmal nicht gesehen. Dafür umso mehr ihre großen Verwandten. Einfach herrlich, wahrscheinlich der Höhepunkt dieses schon jetzt unvergesslichen Urlaubs.


Ganz schön nahe, die Orcas

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